Ehemaligenportraits

Latein ist die Brücke zu allen Studienfächern, nicht nur zu Geschichte oder Sprachen. Deshalb sollen an dieser Stelle ehemalige Lateinschülerinnen und Lateinschüler zu Wort kommen.

Silvio Tödtli

Er ist Student Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der ETH. Seine Lateinmatura an der KSR hat er 2008 gemacht.

Nach der Lateinmatura habe ich mich für ein Maschinenbaustudium an der ETH entschieden. Ist Latein für ein technisches Studium unkonventionell? - Mag sein. Ist es empfehlenswert? - Auf jeden Fall! Weshalb? - Das möchte ich in zwei Punkten zusammenfassen:

Problemlösung

Für das Übersetzen eines lateinischen Satzes gibt es eine Grundregel: zerlege den Satz in seine Bausteine und übersetzte diese nach spezifischen Regeln. Sehr viele Problemstellungen in Studium, Beruf und Alltag können nach diesem Schema der Analyse und Synthese gelöst werden. Aber wie überall braucht es Übung in der Anwendung. Hier liegt der grosse Nutzen des Lateins: jeder Satz ist ein kleines, intensives Übungsgerät. Intensiv deshalb, weil jeder, der nicht nach obigem Schema verfährt, in der Komplexität des Satzes untergeht. Wie in keinem anderen Fach war ich im Latein gezwungen strukturiert zu arbeiten – und habe es deshalb besonders gut gelernt. Wer also lernen möchte Probleme strukturiert zu lösen, dem kann ich Latein nur empfehlen.

Breite

Latein ist aber nicht nur Arbeit an der Sprache, sondern stets auch Arbeit am Geist. Die gelesenen Texte sind ein Querschnitt durch eine Epoche einzigartiger menschlicher Schaffenskraft. Für mich war der Lateinunterricht zugleich Philosophie-, Religions-, Naturwissenschafts-, Kunst- und Geschichtsstunde. Heute fühle ich mich trotz des technischen Studiums auch in den Geisteswissenschaften zuhause und schätze diese Breite enorm. Wer vielseitig interessiert ist und über die Grenzen der eignen Disziplin blicken möchte, dem kann ich Latein ebenfalls nur empfehlen.

Dr.med.Marc Ebneter

Er schloss seine Lateinmatura im Jahre 2000 ab. Nach seinem Medizinstudium in Bern arbeitet er zurzeit als Anästhesist am im Inselspital Bern.

„Latein lernte ich nicht als Sprache. Was mir heute viel mehr bringt, ist die Denkweise, wie ich Stück für Stück ein Problem angehen und es entschlüsseln kann. Ein lateinischer Satz ist wie eine Krankheit, die ein Patient von mir hat: die einzelnen Symptome müssen zusammengesetzt werden, damit mir der Sinn des Ganzen klar wird. Erst dann kann ich den Patienten behandeln.

Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass mir die mühsam gepaukten Lateinwörter ständig über den Weg laufen: anatomische Namen bekommen einen Sinn und auf Reisen höre ich aus einer Fremdsprache oft bekannte Fetzen heraus und kann mir den Sinn des „Kauderwelschs“ erraten. Fazit: Latein ist mühsam – aber nützlich!“

Dr.sc.nat. ETH Egon Rütsche

Er machte seine Lateinmatura 1999 und studierte anschliessend Mathematik an der ETH Zürich. Heute arbeitet er als Analyst bei der Züricher Kantonalbank.

„Von meinem Standpunkt als Mathematiker aus betrachtet, war sicher das analytische Denken ein grosser Vorteil für mein Studium. Diese Denkweise wird im Lateinunterricht (zwingend) gefördert, da es einiges an Satzarchitektur und grammatikalischen Besonderheiten zu untersuchen gibt. Dies hat mir immer grossen Spass gemacht.

Der Lateinunterricht kann meines Erachtens nicht hinderlich sein für ein Studium. Je nach Studiengang und Vertiefung am Gymnasium bringen die Studentinnen und Studenten mehr oder weniger Vorwissen mit. Ich hatte aber nie das Gefühl, zu wenig Mathematikunterricht am Gymnasium zu haben oder gegenüber meinen Mitstudenten im Nachteil zu sein, da bei mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen grundsätzlich von vorne begonnen wird.“

Dr. Martin Steuble

Nach seiner Matura 1995 studierte er an der Universität Zürich Biochemie, worin er auch doktorierte. Heute arbeitet er als Leiter der Qualitätssicherung bei der Chemifirma Lonza.

"Wenngleich der Sprache hartnäckig ein trockenes, langweiliges Image anhaftet, weil tot, habe ich die Lateinmatura gewählt, schon alleine wegen meiner Freude an Sprachen. Mit der Zeit wird der Umgang mit den Wörtern ein spielerischer und im fortgeschrittenen Stadium ergeben sich interessante Einblicke in die Geschichte anhand von Originaltexten.

Direkt habe ich nicht davon profitiert, indirekt jedoch schon, zum Beispiel in meiner alltäglichen Begegnung mit Fachenglisch bereits während des Studiums und nun im Arbeitsleben. Es ist erstaunlich festzustellen, welch hoher Prozentsatz des englischen Wortschatzes lateinische Wurzeln hat – allein diese Tatsache erleichtert mir das rasche Lesen und Verstehen der Fachliteratur ungemein. Zudem wird, auch wenn man es nicht gleich sieht, der analytische Verstand gefordert und gefördert. Man lernt, diverse Ansätze zur Problemlösung zu entwickeln, was einem Naturwissenschafter nur zugute kommen kann.

Kurzum gesagt, bereue ich es nicht, mich für Latein entschieden zu haben. Überhaupt war der Weg letztlich ein bequemer, denn das gründliche Beherrschen des Wortschatzes ist das A und O ein jeder Sprache, und dies ergab die angenehme Lage, dass es in den letzten zwei Jahren nicht mehr allzu viel zu büffeln gab für Lateinprüfungen..."

Andreas Koller, MA in Sciences politiques

Er machte im Jahr 2000 Matura und studierte anschliessend an der Universität Lausanne Internationale Beziehungen.

"Politikwissenschaft in Lausanne besteht unter anderem aus Verfassungsrecht, antiker Geschichte (1.jahr) und politischer Philosophie. In all diesen Fächern ist es von Vorteil, wenn man in der Mittelstufe gut Latein gelernt hat. Ist einem Lateiner "ius sanguinis" oder "homo homini lupus" etwa nicht geläufiger? Vor allem in den fächern Recht und Geschichte muss man oft lateinische Ausdrücke intus haben.

Was das Latein nämlich vorwiegend ausmacht, ist seine Komplexität und die Tatsache, dass alle romanischen Sprachen (von Spanisch, Italienisch, über Portugiesisch und Rumänisch bis zu Okzitanisch) ihren Ursprung in der lateinischen Sprache haben. Weil das Latein komplex ist, lehrt es uns die scharfe Analyse. "Dank latein hab ich Deutsch gelernt", sagen viele Lateiner und auch ich. Dank Latein hab ich einfacher Italienisch und Spanisch gelernt. Ihr könntet mir jetzt vielleicht entgegenbringen, dass man anstatt Latein ja direkt eine andere "lebende" Sprache in der Mittelschule lernen könnte. Zum Beispiel Spanisch. Doch wie gesagt, unterscheidet sich die lateinische Sprache durch ihre Komplexität, die Scharfsinnigkeit anregt. Momentan lerne ich Russisch, und zwar auf autodidaktische Weise. Dies fällt mir auch leichter, weil ich sechs jahre Latein am Gymi studiert habe. Mit der Erfahrung "Latein" könnt ihr fähig sein, eine neue Sprache allein zu lernen und zu analysieren.  

Latein ist sicher für all diejenigen gut, die sich für Sprachen interessieren, für Geschichte, Philosophie, Recht, Medizin...es ist auch für all diejenigen  nützlich, die sich noch nicht genau vorstellen können, in welche Studienrichtung sie gehen. Denn Latein kann man immer gebrauchen.Meine Erfahrung und diejenige all meiner Latein-Klassenkameraden zeigt, dass man mit der Option Latein sicherlich nicht auf der falschen Bahn ist."